Ist TikTok schuld am AfD-Wahlerfolg?

TikTok on iPhone by Nordskov Media (CC0 1.0)

16 Prozent der Stimmen für die AfD von den Unter-25jährigen bei der Europawahl gestern, sogar 0,1 Punkte mehr als von allen Wahlberechtigen, und 11 Prozentpunkte mehr als bei der letzten Europawahl: Das zeigt unter anderem die Analyse der ARD. Fast jeder fünfte Jungwähler kreuzt die AfD an. Krass, oder?

Wie lässt sich das erklären? Vorweg: TikTok ist nicht allein schuld, das wäre (leider) zu einfach. Aber TikTok hat eine wichtige Rolle beim Wahlerfolg der AfD bei jungen Wähler*innen gespielt. Hier kommen einige Links zu Analysen und Gedanken, die mir beim Nachdenken geholfen haben.

Die AfD war im Europawahlkampf nicht die erfolgreichste Partei: Das Institut der Deutschen Wirtschaft hat im Februar 2024 in einer Analyse gezeigt: Die FDP hat mit Marie-Agnes Strack Zimmermann deutlich mehr Likes produziert als die AfD. Das ist interessant, denn in Stimmen niedergeschlagen hat sich das nicht so sehr. Es geht also um mehr als Reichweite. Allerdings untersuchte das IW jeweils nur die Accounts der ersten zehn Kandidaten auf den jeweiligen Bundeslisten, deswegen lässt sich auch schreiben:

Die AfD war im Europawahlkampf doch die erfolgreichste Partei. Das schreibt deswegen auch das ZDF in einer guten Analyse mit Daten von Johannes Hillje: “TikTok-Videos des offiziellen Kanals der AfD-Bundestagsfraktion etwa erreichten zwischen Januar 2022 und Dezember 2023 im Schnitt 430.000 Impressionen pro Video. Die FDP kam auf rund 53.000, die restlichen Parteien lagen noch weiter zurück.” Wie stark die AfD also ist, ist eine Frage der Betrachtung. Sicher ist: Sie ist stark. Denn:

Die AfD ist mehr als Parteiaccounts: Marcus Bösch hat in seinem Newsletter “Understanding TikTok” belegt, dass es nicht ausreicht, nur die Parteiaccounts der AfD in den Blick zu nehmen – “The AfD has set up an entire digital support network rooted deep in an online right-wing culture consisting of – among others – diverse right-wing movements e.g. their own youth movement ´Junge Alternative´”.

Die AfD kleckert nicht, sondern klotzt auf TikTok. Das Social-Media-Watchblog hat gezählt (ein Artikel ohne Paywall, obwohl sich das Abo lohnt): “Gemessen an der Fraktionsstärke schickt keine Partei so viele Bundestagsabgeordnete ins Rennen um TikTok-Likes. Ganze 23 der insgesamt 79 AfD-Abgeordneten führen aktive Kanäle, mehr als jeder Vierte der Fraktion. Zum Vergleich: Bei der SPD sind nur 4 der 206 Abgeordneten auf TikTok aktiv, bei den Linken 7 der 39 Abgeordneten. Bei den übrigen Bundestagsparteien sieht es ähnlich mager aus.” Basis für die Auswertung ist die Google-Tabelle von Martin Fuchs, der als Wahlbeobachter auf Mastodon unterwegs ist.

Also ist TikTok nun schuld am Wahlerfolg? Auch, aber nicht nur: Angelika Melcher macht sich in der Wirtschaftswoche Gedanken darüber, ob TikTok Schuld ist am AfD-Erfolg. Sie sieht die Debatte kritisch: “[Trotzdem] wird in dieser Debatte einer ganzen Generation ihre Souveränität abgesprochen und ihr unterstellt, keinen Filter für Inhalte zu haben.” Und weiter: “Nach den wochenlangen Diskussionen um TikTok kann die aktuelle Debatte vielleicht dazu genutzt werden, um auf das echte Problem aufmerksam zu machen: Die Zukunftsangst.” Das unterstützen auch Wissenschaftler: “Soziale Ungleichheit ist ein Riesenthema”, sagt Jugendforscher Simon Schnetzer im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk. “Und wenn junge Menschen das Gefühl haben, mit der aktuellen Regierung wird das nicht besser, dann suchen sie nach Alternativen.” Schnetzer ist Mitautor der Jugendstudie “Jugend in Deutschland”, die zuletzt das Potenzial von AfD-Wählern unter jungen Menschen besonders hoch eingeschätzt hat. “Es gibt ökonomische Sorgen und auch kulturelle Sorgen innerhalb einer Gesellschaft”, analysiert auch Politikwissenschaftlerin Jasmin Riedl im Bayerischen Rundfunk, “und Rechtsaußen-Parteien verknüpfen diese Sorgen und Ängste mit migrationspolitischen Antworten.”

Also was tun? Auf der einen Seite: mehr über Themen sprechen, junge Menschen ernst nehmen und hören – und ihre Themen in der Politik aufnehmen, ganz unabhängig von TikTok. Das hat auch viel mit Diversität in der Politik und Demokratiebildung an Schulen zu tun – eine zentrale Herausforderung für unsere Gesellschaft: Die, die sich abgehängt fühlen, müssen wir Anschluss finden.

Auf der anderen Seite braucht es eine Doppelstrategie mit Blick auf TikTok. Es ist einerseits sicher richtig, der AfD auf monolithischen Plattformen wie TikTok Paroli zu bieten – das Kind ist zu tief im Brunnen. Ganz ehrlich: Wenn es jeder so wie ich machte und sich von TikTok und Insta zurückziehen würde, würde die heute Demokratie leiden. Umso wichtiger aber ist andererseits ernsthafte Regulierung – die Lobbyorganisation campact fordert wieder, “die Konten der AfD zu sperren” – wenn auch die Links oben zeigen, dass die Festlegung nicht ganz leicht wird, was denn “die Konten” sind. Mir scheint das etwas zu einfach. Auf der Re:Publica hat Markus Beckedahl ein gutes Gespräch mit dem Leiter der EU-Einheit zur Tech-Regulierung, Prabhat Agarwal, geführt zur Frage, wie die EU-Kommission (unter anderem) TikTok beschränken will.

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