Kategorie: Blog

  • Mastodon oder Bluesky? Beides, mit openvibe

    Mastodon oder Bluesky? Beides, mit openvibe

    Seit dem Exodus von X-Twitter, der der Übernahme durch Elon Musk folgte, fühlen sich manche offenbar irgendwie heimatlos (der re:publica 2004 war das ein ganzes Panel wert: Verloren auf Plattformen, übrigens mit Mr. Internet Dirk von Gehlen): Die einen sind auf Mastodon oder anderen Fediverse-Plattformen, die anderen auf Bluesky oder Nostr, und wieder andere auf Threads von Meta. Das ist irgendwie mühsam und unübersichtlich – ein Problem, das die neue App openvibe lösen will.

    Denn diese kleine Krake streckt ihre Arme in jedes Netzwerk: openvibe ist in Smartphone-Client für Mastodon und Bluesky und Nostr, die Anbindung von Threads soll folgen. Erhältlich ist openvibe derzeit für Android und iOs-Telefone, ebenso folgen soll eine Desktop-App.

    Die Timeline von openvibe zeigt untereinander, also gemischt, Posts von den Netzwerken an, die ihr abonniert habt. Durch einfache Buttons an der oberen Leiste lässt sich zwischen Mastodon-, Bluesky- und Nostr-Posts filtern. Antworten, boosten und liken geht genauso wie in vielen anderen Apps. Posts lassen sich auch editieren – das funktioniert ja nicht in jedem Client. Auch Reaktionen lassen sich im Überblick oder gefiltert anzeigen.

    Die openvibe-Timeline zeigt die Posts auf unterschiedlichen Netzwerken parallel, aber mit Filter-Funktion (obere Leiste).
    Mehrere Netzwerke in einer App: openvibe verbindet Mastodon, Bluesky und Nostr zu einer Timeline.

    Der Clou: Crossposting, also: Posts lassen sich auf mehreren Plattformen gleichzeitig posten. Diese Funktion lsst sich ein- und ausschalten. Posts können also auch gezielt nur in einem Netzwerk veröffentlich werden. Dafür gibt es auch andere Varianten, beispielsweise den Dienst Bridgy-Fed, der das Fediverse mit Bluesky verbindet. Bridgyfed leitet Mastodon-Posts aber grob gesagt weiter zu Bluesky, während openvibe aus einem Post zwei (oder drei) macht und auf unterschiedlichen Netzwerken veröffentlicht.

    Good or bad? Alles, was Verbindung schafft, finde ich prima. Und alles, was die Nutzbarkeit der neuen Plattformen vergrößert, auch: openvibe erlaubt, parallel in zwei (oder drei) Netzwerken auszuprobieren, gibt mir aber das Gefühl, einem größeren Netzwerk anzugehören. Wer sich also irgendwie verloren fühlt, könnte sich mit openvibe ein wenig Heilung erlauben. Schade, dass openvibe Google Analytics nutzt und ein Teil meiner Daten so zu Google wandert – welche Haken lest ihr ansonsten in der Privacy Policy? Freue mich über Antworten.

  • „Escape The Social Media Trap“…

    „Escape The Social Media Trap“…

    … war der Titel eines Vortrags, den Sebastian Lassen und ich im Rahmen der Public Spaces Conference 2024 in Amsterdam gehalten haben. Nun gibt es das Video zum Nachschauen. Ich freue mich auf Gedanken und Anregungen.

  • Proton wird Stiftung, die Suchmaschine „Stract“ und Social-Media-Warnungen.

    Proton wird Stiftung, die Suchmaschine „Stract“ und Social-Media-Warnungen.

    Der schweizerische Email-Anbieter Proton überträgt sein Geschäft an eine Stiftung. In einem Blog-Post schreibt Gründer Andy Yen: „Proton kann nicht von Milliardären subventioniert werden (wie Signal), nicht von Google (wie Mozilla), nicht von der Regierung (wie Tor), nicht durch Spenden (wie Wikipedia) und auch nicht durch Spekulationen (wie die vielen Krypto-„Stiftungen“).“ Auch die Unternehmensstruktur sichert oder gefährdet Unabhängigkeit. Eine gute Zusammenfassung hat arstechnica.

    Einen Warnhinweis für Social Media, so wie auf Zigaretten-Packungen, fordert Vivek H. Murthy, der US-amerikanische Surgeon General, der Generalstabsarzt: „Soziale Medien werden mit erheblichen psychischen Schäden für Jugendliche in Verbindung gebracht,“ begründet er. Allerdings ist die Studienlage nicht ganz so klar wie bei Zigaretten, seine Forderung daher umstritten.

    ByebyeElon nennt sich ein Aktionsbündnis von derzeit 49 Organisationen aus den Bereichen Umwelt, Menschenrechte, Soziales, Gesundheit und Landwirtschaft, die gemeinsam die Social-Media-Plattform X-Twitter verlassen haben: „Wir stehen für einen respektvollen, demokratischen Austausch und wertschätzende Kommunikation. Auf X sehen wir dafür aktuell keine Grundlage mehr.“ Unter den Organsationen sind die AWO, Bioland und terre des hommes. Leider sind nicht alle ins Fediverse eingestiegen. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

    Wer surft wie im Fediverse? Mastodon-CEO Eugen Rochko hat eine Statistik geteilt, über welchen Client Menschen Mastodon nutzen. Stefan Münz hat auf Mastodon einen schönen Thread geteilt, in dem er noch einmal Phanpy vorstellt (ein Web-Client, den ich auch schon emfpohlen hatte).

    Mastodon, Bluesky und Threads vergleicht die Electronic Frontiert Foundation in diesem Blogpost ausführlich: „(…) Ihr gemeinsamer Weg führt uns zu einem freieren, offeneren und erfrischend unkonventionellen sozialen Netz, das frei von Plattform-Gatekeepern ist.“

    Kaum auf Fake-News reagiert haben die großen Plattformen zur Europawahl, berichtet die spanische Organisation maldita.es: „45 % dieser Desinformationsinhalte wurden von den Plattformen nicht sichtbar behandelt.“ Der ARD-Faktenfinder hat die Ergebnisse zusammengefasst.

    Stract – eine neue Suchmaschine will mehr richtig machen – „eine Open-Source-Suchmaschine, bei der der Benutzer die Möglichkeit hat, genau zu sehen, was vor sich geht, und fast alles an seinen Suchergebnissen anzupassen.“ Als zentrale Werte nennt Stract auf seiner Homepage vollständige Transparenz, Datenschutz und die Anpassbarkeit. Golem hat zuerst darüber geschrieben.

    Seeds of Federation nennt Elena Rossini ihren neuen Newsletter zu Fediverse. Die Filmemacherin und Aktivistin schreibt nicht nur, sie handelt auch: „Ich verpflichte mich, jeden Tag mindestens 15-30 Minuten zur Verfügung zu stellen, um wichtige Schauspieler dazu zu bewegen, im Fediverse zu posten, angefangen mit Mastodon.“ Ihr erstes Ziel: Die EU-Kommission, das nächste: das Social-Media-Thema der Olympischen Spiele.

  • Mastodon und die „Attention Economy“

    Mastodon und die „Attention Economy“

    „How can we shift the discussion? Die Aufmerksamkeitsspirale wird immer schneller, das Angebot immer größer, die Konkurrenz immer stärker. Wie gehen wir mit Herausforderungen wie Hate Speech, Falschinformationen und Vertrauensverlust um?“ Ich finde diesen Ansatz für das Themenfestival „Attention Economy: Aufmerksamkeit neu denken“ der Hamburger Medien-Standortinitiative „nextmedia“ richtig gut. Und noch mehr freue ich mich, am Donnerstag dabei zu sein.

    Warum freust Du Dich? Endlich diskutieren wir am Medienstandort Hamburg – der hunderttausende jährlich für das OMR-Festival raushaut – neben Snapchat, Google oder TikTok auch alternative Netzwerke wie das Fediverse oder Mastodon. „Qualität und Unabhängigkeit: Chancen und Risiken von Mastodon & anderen alternativen Netzwerken“ heisst mein kurzer Input – parallel zu Rocket Beans und Pinterest. Das ist ein guter Schritt raus aus der Nische, finde ich. Und es gibt noch Tickets, einige sogar kostenlos.

  • „Wir müssen uns kümmern. Um die Dinge, FÜR die wir sind.“

    „Wir müssen uns kümmern. Um die Dinge, FÜR die wir sind.“

    Noch etwas Re:Publica24-Nachlese: Verpasst habe ich leider den Vortrag von Marcel Weiss„Wo ist Europas Gestaltungswille beim Social Web?“ am letzten Tag (sein Vortrag ist jetzt online, dies ist der Link über das datenfreundlichere Youtube-Portal „Piped“).

    Seine zentrale These und Forderung: Es reicht nicht, seit mehr als einem Jahrzehnt die Macht der großen US-Plattformkonzerne samt der individuellen und gesellschaftlichen Schäden zu beklagen. Wir müssen handeln, wörtlich: „Wir müssen uns kümmern. Um die Dinge, FÜR die wir sind.“

    Was meint er damit? Er appelliert vor allem an Stiftungen, Vereine, NGOs, nicht nur eigene Mastodon-Accounts einzurichten, sondern alternative Netzwerke aktiv mitzugestalten, also: Ressourcen freizumachen, zu fördern, zu stützen. Wenn wir nicht gestalten, übernehmen andere, meint Weiss. Und deren Ziel ist eben nicht, (vor allem) Gesellschaft zu stärken, sondern (vor allem) Gewinne zu erwirtschaften1. Recht hat er.

    1. Nichts gegen das Gewinnstreben eines Unternehmens, beim Thema Meinungsbildung kollidiert es jedoch mit gesellschaftlichen Zielen, daher ist beispielsweise ein Medienunternehmen strenger reguliert als ein Schraubenfabrikant. ↩︎
  • Ist TikTok schuld am AfD-Wahlerfolg?

    Ist TikTok schuld am AfD-Wahlerfolg?

    TikTok on iPhone by Nordskov Media (CC0 1.0)

    16 Prozent der Stimmen für die AfD von den Unter-25jährigen bei der Europawahl gestern, sogar 0,1 Punkte mehr als von allen Wahlberechtigen, und 11 Prozentpunkte mehr als bei der letzten Europawahl: Das zeigt unter anderem die Analyse der ARD. Fast jeder fünfte Jungwähler kreuzt die AfD an. Krass, oder?

    Wie lässt sich das erklären? Vorweg: TikTok ist nicht allein schuld, das wäre (leider) zu einfach. Aber TikTok hat eine wichtige Rolle beim Wahlerfolg der AfD bei jungen Wähler*innen gespielt. Hier kommen einige Links zu Analysen und Gedanken, die mir beim Nachdenken geholfen haben.

    Die AfD war im Europawahlkampf nicht die erfolgreichste Partei: Das Institut der Deutschen Wirtschaft hat im Februar 2024 in einer Analyse gezeigt: Die FDP hat mit Marie-Agnes Strack Zimmermann deutlich mehr Likes produziert als die AfD. Das ist interessant, denn in Stimmen niedergeschlagen hat sich das nicht so sehr. Es geht also um mehr als Reichweite. Allerdings untersuchte das IW jeweils nur die Accounts der ersten zehn Kandidaten auf den jeweiligen Bundeslisten, deswegen lässt sich auch schreiben:

    Die AfD war im Europawahlkampf doch die erfolgreichste Partei. Das schreibt deswegen auch das ZDF in einer guten Analyse mit Daten von Johannes Hillje: „TikTok-Videos des offiziellen Kanals der AfD-Bundestagsfraktion etwa erreichten zwischen Januar 2022 und Dezember 2023 im Schnitt 430.000 Impressionen pro Video. Die FDP kam auf rund 53.000, die restlichen Parteien lagen noch weiter zurück.“ Wie stark die AfD also ist, ist eine Frage der Betrachtung. Sicher ist: Sie ist stark. Denn:

    Die AfD ist mehr als Parteiaccounts: Marcus Bösch hat in seinem Newsletter „Understanding TikTok“ belegt, dass es nicht ausreicht, nur die Parteiaccounts der AfD in den Blick zu nehmen – „The AfD has set up an entire digital support network rooted deep in an online right-wing culture consisting of – among others – diverse right-wing movements e.g. their own youth movement ´Junge Alternative´“.

    Die AfD kleckert nicht, sondern klotzt auf TikTok. Das Social-Media-Watchblog hat gezählt (ein Artikel ohne Paywall, obwohl sich das Abo lohnt): „Gemessen an der Fraktionsstärke schickt keine Partei so viele Bundestagsabgeordnete ins Rennen um TikTok-Likes. Ganze 23 der insgesamt 79 AfD-Abgeordneten führen aktive Kanäle, mehr als jeder Vierte der Fraktion. Zum Vergleich: Bei der SPD sind nur 4 der 206 Abgeordneten auf TikTok aktiv, bei den Linken 7 der 39 Abgeordneten. Bei den übrigen Bundestagsparteien sieht es ähnlich mager aus.“ Basis für die Auswertung ist die Google-Tabelle von Martin Fuchs, der als Wahlbeobachter auf Mastodon unterwegs ist.

    Also ist TikTok nun schuld am Wahlerfolg? Auch, aber nicht nur: Angelika Melcher macht sich in der Wirtschaftswoche Gedanken darüber, ob TikTok Schuld ist am AfD-Erfolg. Sie sieht die Debatte kritisch: „[Trotzdem] wird in dieser Debatte einer ganzen Generation ihre Souveränität abgesprochen und ihr unterstellt, keinen Filter für Inhalte zu haben.“ Und weiter: „Nach den wochenlangen Diskussionen um TikTok kann die aktuelle Debatte vielleicht dazu genutzt werden, um auf das echte Problem aufmerksam zu machen: Die Zukunftsangst.“ Das unterstützen auch Wissenschaftler: „Soziale Ungleichheit ist ein Riesenthema“, sagt Jugendforscher Simon Schnetzer im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk. „Und wenn junge Menschen das Gefühl haben, mit der aktuellen Regierung wird das nicht besser, dann suchen sie nach Alternativen.“ Schnetzer ist Mitautor der Jugendstudie „Jugend in Deutschland“, die zuletzt das Potenzial von AfD-Wählern unter jungen Menschen besonders hoch eingeschätzt hat. „Es gibt ökonomische Sorgen und auch kulturelle Sorgen innerhalb einer Gesellschaft“, analysiert auch Politikwissenschaftlerin Jasmin Riedl im Bayerischen Rundfunk, „und Rechtsaußen-Parteien verknüpfen diese Sorgen und Ängste mit migrationspolitischen Antworten.“

    Also was tun? Auf der einen Seite: mehr über Themen sprechen, junge Menschen ernst nehmen und hören – und ihre Themen in der Politik aufnehmen, ganz unabhängig von TikTok. Das hat auch viel mit Diversität in der Politik und Demokratiebildung an Schulen zu tun – eine zentrale Herausforderung für unsere Gesellschaft: Die, die sich abgehängt fühlen, müssen wir Anschluss finden.

    Auf der anderen Seite braucht es eine Doppelstrategie mit Blick auf TikTok. Es ist einerseits sicher richtig, der AfD auf monolithischen Plattformen wie TikTok Paroli zu bieten – das Kind ist zu tief im Brunnen. Ganz ehrlich: Wenn es jeder so wie ich machte und sich von TikTok und Insta zurückziehen würde, würde die heute Demokratie leiden. Umso wichtiger aber ist andererseits ernsthafte Regulierung – die Lobbyorganisation campact fordert wieder, „die Konten der AfD zu sperren“ – wenn auch die Links oben zeigen, dass die Festlegung nicht ganz leicht wird, was denn „die Konten“ sind. Mir scheint das etwas zu einfach. Auf der Re:Publica hat Markus Beckedahl ein gutes Gespräch mit dem Leiter der EU-Einheit zur Tech-Regulierung, Prabhat Agarwal, geführt zur Frage, wie die EU-Kommission (unter anderem) TikTok beschränken will.

  • „Wirklich soziale Medien“ an Hochschulen

    „Wirklich soziale Medien“ an Hochschulen

    Das Fediverse ist vielfältig. – CC-BY-NC-SA 4.0 Tobias Buckdahn

    X-Twitter stillegen, umziehen ins Fediverse: Das Aktionsbündnis neue soziale Medien fordert in einer Petition an die Hochschulrektorenkonferenz, „all denen, die die undemokratischen, unfairen und unnachhhaltig agierenden Plattformen nicht nutzen möchten, eine Alternative eröffnen.“ Nun hat einer der Erstunterzeichner, der Berliner Bioelektronik-Professor Mario Birkholz, bei netzpolitzik.org erklärt, warum er den Appell unterstützt:

    „Statt es einigen wenigen Großkonzernen zu überlassen, könnte an den Hochschulen die Entwicklung von Software für das Fediverse unterstützt, die Software getestet, Server in Betrieb genommen, Instanzen moderiert und zukünftige Fediverser geschult werden. Die vor uns stehenden Umwälzungen der digitalen Transformation sind von historischer Dimension. Sie sind in ihrer Bedeutung vergleichbar mit den Veränderungen im Zeitalter der Aufklärung, die die Grundlage für die Menschenrechte und ein friedlich vereintes Europa legten. Mögen die Hochschulen dabei behilflich sein, dass die Aufgabe einer gemeinwohlorientierten Digitalisierung gelingt – so wie es die Mission Statements von ihnen fordern.“

    Quelle: Mario Birkholz auf netzpolitik.org

    Welche Erfahrungen haben die Hochschulen bisher im Fediverse damit gemacht? Ganz gute: Das Aktionsbündnis neue soziale Medien schrieb gestern, die Follower-Zahlen der Hochschulaccounts auf Mastodon hätten sich im vergangenen Jahr rund verdoppelt. Für Hochschulen, Forschungsinstitute (und Stiftungen) ist das Fediverse aus meiner Sicht eine naheliegende Heimat: Denn wer werteorientierte Entscheidungen trifft und öffentliches Geld verwendet, zu dem passt X-Twitter eben nicht. Darüber hatte ich in der ersten Ausgabe meines Newsletters schon geschrieben, und auch Nicola Wessinghage von der Agentur Mann beisst Hund hatte sich darüber im Anschluss an unsere gemeinsame Veranstaltung Gedanken gemacht.

  • Die Rache der Radkuriere: Algorithms of resistance

    Die Rache der Radkuriere: Algorithms of resistance

    Wann wird aus Resilienz Widerstand? Wenn Uber-Fahrer vorgeschlagene Routen nicht einschlagen oder deliveroo-Fahrer bei sich selbst bestellen: Wann wird aus taktischem Spiel mit Algorithmen eine strategische Gegenwehr? Der italienische Soziologie-Professor Tiziano Bonini hat auf der PublicSpaces-Konferenz in Amsterdam sein neues Buch vorgestellt: Algorithms of Resistance, also: Algorithmen des Widerstands (unter dem Link ist ein kostenloses PDF vom Buch erhältlich). Tiziano Bonini hat beobachtet, wie Menschen auf Algorithmen in ihrer Welt reagieren. Einige Beispiele:

    • Die koreanische K-Pop-Sensation BTS hat Millionen Menschen auf der ganzen Welt dazu gebracht, ihr Album zu verbreiten: in einer ausgeklügelte Kampagne mit vielen Stream-Partys. BTS-Fans in den USA erstellten dafür sogar gefälschte Konten, um die Musik der Band auf Platz 1 zu katapultieren.
    • Lieferfahrer in Indien bringen Kunden nicht nur das bestellte Essen, sondern auch Gemüse oder andere Einkäufe aus dem Supermarkt mit und verdienen sich ein Trinkgeld.
    • Shuadan, ein chinesisches Wort, steht für eine Taktik, den Algorithmus von Lieferdiensten zu beeinflussen: Lieferfahrer oder Restaurants bestellen bei sich selbst, was sie dann scheinbar (aus-)liefern, um besser bewertet zu werden.

    Warum ist das spannend? Tiziano beschreibt für mich sehr praktisch-menschliche Varianten zwischen „Big Tech muss weg“ und blindem Konsum: In seiner Forschung belegt er, wie sich aus Tricks und Verhaltensänderungen, die vor allem dem individuellen Schutz dienen, Formen des Widerstands entwickeln können – bis hin zu einer Vernetzung beispielsweise unter Lieferdienstfahrern, die schließlich in den Streik treten oder als Genossenschaft dem Big-Tech-Lieferdienst Konkurrenz machen.

    Tiziano Bonini im Gespräch mit dem niederländischen Soziologen Thomas Poell auf der PublicSpaces-Konferenz.

    Das macht die Algorithmen in Big-Tech-Plattformen doch nicht besser, oder? Stimmt, aber es zeigt zumindest, dass Menschen den Algorithmen nicht blind ausgeliefert sind, sondern bei der Suche nach einem Umgang mit ihnen möglicherweise Strategien entwickeln können, die den Algorithmus am Ende entwerten. Absolute Leseempfehlung.

  • Die Mastodon-Ministerin, die bald ihr Amt verliert

    Die Mastodon-Ministerin, die bald ihr Amt verliert

    Gibt´s wirklich eine Mastodon-Ministerin? Nein, leider! Aber als Alexandra van Huffelen heute früh die Bühne der PublicSpaces-Konferenz in Amsterdam betrat, machte sie immerhin eine so gute Figur, dass ihr der Titel der „Mastodon-Ministerin“ gebühren würde. Am Revers ihres Jackets (im roten Kreis) trug sie einen Mastodon-Button (zur Erinnerung: Mastodon ist eine Anwendung im dezentralen Fediverse).

    Wer (um Himmels Willen) ist Alexandra van Huffelen? van Huffelen ist eine niederländische Politikerin der sozialliberalen D66-Partei und arbeitet als Staatsministerin (bei uns entspricht das dem Amt einer Staatssekretärin) für Digitalisierung im Kabinett Rutte. Als sie 2022 ihr Amt antrat, haben wohl nur wenige große Hoffnungen mit ihr verbunden, flüstert mir mein Nachbar auf der Konferenz zu. Aber es kam anders, also: zumindest besser als erwartet.

    Was hat sie denn getan? van Hoffelen hat sich konsequent für eine wertegetriebene, demokratiestärkende Digitalpolitik eingesetzt. Davon können sich deutsche Digitalminister eine dicke Scheibe abschneiden. In der Digitalstrategie der niederländischen Regierung sind die Dezentralisierung von Angeboten und die Datensouveränität schon das zweit- und drittwichtigste Projekt:

    Growing resistance to the power of large tech companies is paving the way for radical alternatives to the current internet with its winner-takes-all dynamic. Based on new design principles in which institutional innovation is embedded in technology, decentral solutions are emerging with regard to data storage, intelligence and applications.

    Quelle: Digitalstrategie der niederländischen Regierung

    Warum ist das wichtig? Weil die Niederlande bei diesem Thema viel klarere Kante zeigen als Deutschland. Schon 2023 diskutierte die PublicSpaces-Konferenz mit van Huffelen über ein „European Digital Infrastructure Consortium“ (EDIC), für das sich die Ministerin auch in diesem Jahr wieder einsetzte. Die Niederlande sind die treibende Kraft hinter dem EDIC, das gemeinschaftlich kontrollierte, offene Software und Plattformen propagiert.

    Warum verliert van Huffelen ihr Amt? Weil die neue, rechtpopulistische Regierung in wenigen Wochen übernimmt – und die sozialliberale van Huffelen ihr Amt abgeben muss. Was dann kommt, steht in den Sternen – und zum Teil schon im Koalitionsvertrag: Künftig soll für Zeitungen und Bücher beispielsweise kein verminderter Mehrwertsteuersatz mehr gelten – Geert Wilders beschreibt das als eine „Steuererhöhung für die Eliten“. Es wird nicht besser in den Niederlanden – und in Europa auch nicht, weil eine treibende Kraft für eine demokratiestärkende Digitalpolitik von der Bühne geht.

  • Ein TikTok, bei dem Deine Daten Dir gehören?

    Ein TikTok, bei dem Deine Daten Dir gehören?

    TikTok als Blaupause für das Web der Zukunft, wie schizophren ist das? Auf den ersten Blick wirkte das, was der US-Milliardär Frank McCourt vor zehn Tagen in die Welt setzte, etwas schräg: Der Mann mit Hornbrille und blauem Business-Look will TikTok kaufen und daraus eine vorbildliche App bauen, wörtlich:

    „This bid for TikTok offers an innovative, alternative vision for the platform’s infrastructure – one that allows people to reclaim agency over their digital identities and data by proposing to migrate the platform to a new digital open-source protocol. (…) McCourt and his partners are seizing this opportunity to return control and value back into the hands of individuals and provide Americans with a meaningful voice, choice, and stake in the future of the web.“

    Quelle: Project Liberty

    Wer steckt hinter dieser Idee? Milliardär McCourt kam über Sportvereine zu Geld – er besaß bis 2012 das Baseball-Team der LA Dodgers, heute gehört ihm Olympique Marseille. Mit seinem Geld gründere er das „Projekt Liberty“, eine Allianz aus mehr als 100 Organisation von Tristan Harris´ Center for Humane Technology über das Recherchenetzwerk bellingcat bis hin zu Reporter Ohne Grenzen, die die „Kontrolle über ihr Leben im digitalen Zeitalter zurückgewinnen wollen, indem sie ein Mitspracherecht, Wahlmöglichkeiten und ein besseres Internet fordern“. Nicht nur das, selbst Internet-Pionier Tim Berners-Lee unterstützt das Kaufangebot für TikTok:

    „Dieser Vorschlag hat meine Unterstützung. Das Web, das ich erfunden habe, sollte dem Einzelnen die Macht und den Wert geben, die er im Moment nicht hat. Die Nutzer sollten die Möglichkeit haben, ihre eigenen Daten zu kontrollieren und sie nach Belieben mit anderen Menschen und Organisationen zu teilen. Ein TikTok, das offene Internetprotokolle wie Solid verwendet, wird die kritischen Werte der Privatsphäre, der Datensouveränität und der geistigen Gesundheit der Nutzer berücksichtigen.

    Quelle: Tim Berners Lee, übersetzt nach einem Zitat bei „Project Liberty

    Was ist das Internet-Protokoll „Solid“? Solid erlaubt es Nutzenden, Daten in einem eigenen „Pod“ aufzubewahren und souverän mit Internet-Diensten zu teilen – anders als bei vielen Diensten heute, die sich erst nutzen lassen, wenn wir unsere Daten frei herausrücken. Solid könnte Teil eines Internetporotokolls werden, dass McCourt entwickeln lässt: Das Decentraliced Social Networking Protokoll DSNP will soziale Interaktion im Netz datensouverän und transparent machen – ein weiteres Protokoll neben ActivityPub (genutzt von Mastodon und anderen Fediverse-Diensten) oder AT (Bluesky).

    Wie ernsthaft ist also dieses Angebot? Mr. Internet Dirk von Gehlen schreibt in einem flotten Blogpost: „Bis es soweit ist, sind noch einige Konjunktive zu überwinden.“ Und das ist sehr richtig. Dennoch hat das Angebot von Frank McCourt einen super Effekt, wie Dirk schreibt: „Er macht Werbung für einen neuen Blick auf unser digitales Ökosystem. Es muss nicht so sein, wie die großen Tech-Unternehmen es gerade nutzen. Es sind andere Modell möglich. Dass er darauf hinweist, ist sehr wertvoll!“ Finde ich auch.