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  • Bluesky-Höhenflüge, Fake Profile, fehlende Dezentralisierung: Ein blauer Himmel voller Wolken (und wo bleibt das Fediverse)?

    Bluesky-Höhenflüge, Fake Profile, fehlende Dezentralisierung: Ein blauer Himmel voller Wolken (und wo bleibt das Fediverse)?

    Die Plattform Bluesky hat Momentum: Millionen Menschen haben sich in den vergangenen Wochen registriert. Wie blau ist denn nun der Himmel? Ist Bluesky die Antwort auf unsere alle Social-Media-Sorgen? Und warum stockt das Wachstum im Fediverse? Ich habe darüber schon hier und hier geschrieben. Es ist Zeit für einen neuen Versuch eines ausführlichen Überblicks – ruhig bleiben, es wird etwas umfangreicher heute:

    Was ist passiert?

    • Im September erlebte X-Twitter seinen ersten X-odus in Brasilien (über den ich hier geschrieben habe) – und Bluesky wuchs.
    • Der Trump-Wahlerfolg hat Millionen weitere auf dem Weg von X zu Bluesky folgen lassen.
    • Unter anderem auch der FC St. Pauli, der Guardian, Heise Online und die Berlinale haben X den Rücken gekehrt. Im November verließ auch der Deutsche Journalistenverband DJV (endlich!) X-Twitter und fand eine neue Heimat bei Bluesky.
    • Gerade haben sich auch mehr als 60 Medienschaffende, darunter Dunyia Hayali und Arne Semsrott, von X zurückgezogen. Etwas treppenwitzig verkünden sie das auf Instagram.
    • Sidenote: Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck scheint die demokratiezersetzende Kraft von X-Twitter dagegen nicht zu besorgen. Er kehrte am 7. November zu X zurück – übrigens rund zehn Minuten, nachdem X-Eigner Elon Musk Kanzler Olaf Scholz als „Narr“ bezeichnet hatte. Drei Tage später kürte Musk dann auch Habeck zum Narren.
    Tweet Elon Musk "Habck ist ein Narr".
    Quelle: X.

    Ist Bluesky wirklich das neue Twitter?

    Die Diskussion scheint zumindest diesen Eindruck zu erwecken. Auch, weil Journalisten-Horden zu Bluesky wechseln und verwechseln, dass ihr Wechsel und der Fund ihrer Freunde auf Bluesky nicht auch gleich heißt, dass ganze Gesellschaften ihnen folgen. Fakt ist:

    Quelle: https://bsky.jazco.dev/stats
    • Das ist ein Bruchteil der 400 bis 600 Millionen X-Accounts. X-Twitter hält sich mit der Veröffentlichung von Daten sehr zurück – in Europa lässt sich ein Rückgang um rund 6 Millionen Nutzende binnen sechs Monten in den X-Transparenzberichten belegen.
    • Meta´s Threads zählt rund 275 Millionen Nutzende.
    • Das Fediverse mit seinem größten Dienst Mastodon zählt dagegen nur rund 10 Millionen Nutzende. Manche Wachstumskurven im Fediverse sehen aus wie die eines toten Patienten im Krankenhaus: Flatline, ein etwas optimistischerer Blick hier.
    Quelle: https://fedidb.org/

    Ist Bluesky zumindest eine gute Alternative zu Twitter?

    Bluesky wäre aus meiner Sicht dann eine gute Alternative, wenn es sich grundlegend von Twitter unterscheiden würde, kurzgesagt:

    • wenn Nutzende souverän über ihre Daten entscheiden
    • wenn Nutzende Server wechseln können
    • wenn ausgeschlossen wäre, dass ein Eigentümer plötzlich die Regeln ändert oder Moderation vernachlässigt, sodass Hass und Hetze gedeihen
    • wenn die Plattform Demokratie eher stärkt als schwächt.

    Auf der einen Seite beeindruckt mich, wie das verhältnismäßig kleine Team um Bluesky-CEO Jay Graber Menschen inspiriert und Austausch im Netz neu denkt. Im Podcast von Flipboard-CEO Mike McCue berichtet sie von der Reise in den blauen Himmel. Viel Innovation entsteht auch im Umfeld.

    Ich experimentiere also mit Bluesky, bin aber weniger aktiv als auf Mastodon. Denn ich habe nach wie vor meine Zweifel, dass Bluesky eine „gute“ Plattform sein kann, die Demokratie stärkt. Warum?

    Finanzierung und Unternehmensstruktur

    • Bluesky machte seine ersten Schritte als Twitter-Teil, wurde dann aber zum eigenständigen Unternehmen. Ende Oktober gab Bluesky eine weitere Finanzierungsrunde bekannt – 15 Millionen Euro von Unternehmen wie Blockchain Capital, Alumni Ventures, True Ventures, SevenX oder Darkmode. Diese Investoren werden irgendwann einen „Return of Investment“ sehen wollen. Und sie verfolgen ihre eigenen Pläne – auch in Richtung Kryptowährung.
    • Bluesky ist deswegen als Unternehmen organisiert, das „“im gewöhnlichen Sinne gewinnorientiert” (Quelle: University of Texas) arbeitet, wenn auch die Gesellschaft davon profitieren soll. Wie sie profitieren soll? Ist nicht geregelt. Ein interessanter Thread dazu findet sich hier.
    • Wo sind also die Mechanismen, die Bluesky vor einer „Enshittification“ schützen, davor, dass kommerzielle Interessen den inhaltlichen Austausch auf der Plattform verzerren? Denkbar beispielsweise, dass Moderation künftig Nutzende etwas kosten könnte (darüber habe ich hier geschrieben). Die jetzige Bluesky-Struktur wird Enshittification-Angriffe kaum abwehren können.

    Moderation und Inhalte

    • Zu wenig Debatte auf Bluesky: Bluesky heute ist eine Wohlfühl-Blase. Diejenigen, die sich im blauen Himmel tummeln, sind vor allem liberal bis linke Journalist*innen, Politiker*innen, Akademiker*innen und Tech-Interessierte.
      Mr. Internet Dirk von Gehlen setzt in seinem Newsletter sogar zu einem „Lob der Filterblase“ an:

    „Sich in der eigenen Blase zu bewegen, ist nicht das Problem der Vernetzung, sondern ein Ziel! Alle guten Nischen nicht nur des Web basieren auf dieser Erkenntnis.“

    Quelle: Digitale Notizen.

    • Aber da gehe ich nicht mit (auch Eli Pariser hat die Filterblase durchaus als Problem beschrieben, wenn er Facebook auch – aus bloßer Alternativlosigkeit heraus – nutzte). Eher halte ich es mit Blogger Max Read:

    Bluesky, kleiner und homogener, ist schwieriger als eine scrollende Darstellung der nationalen oder globalen Psyche zu missverstehen – was es für Medienjunkies viel gesünder, aber auch viel weniger attraktiv macht.

    Quelle: Read Max.

    • Fake Profile und fehlende Verifikation: Offenbar hat der Massenansturm auf Bluesky auch dazu geführt, dass viele Fake-Profile zum Teil auch Fake News verbreiten. Alexios Mantzarlis, Direktor der Initiative für Sicherheit, Vertrauen und Schutz an der Cornell Tech, hat für seinen Newsletter Faked Up nachgezählt:
      Bluesky hat ein Doppelgänger-Problem, wie er schreibt:

    Unter den 100 Accounts mit den meisten Followern haben 44 % mindestens einen Doppelgänger.“ (…) „Eine schlampige Verifizierung ist ein frühes Signal für eine umfassendere Täuschung und ein gefundenes Fressen für organisierte Desinformationsakteure. Kamala Harris, die nicht einmal auf BlueSky ist, hatte zu einem bestimmten Zeitpunkt 20 Konten von Imitatoren.

    Quelle: Faked Up.

    • Bluesky hat seine Richtlinien daraufhin verschärft: Im Moderations-Team arbeiteten nach Bluesky-Angaben viermal so viele Mitarbeitende wie zuvor, und Bluesky helfe Organisationen und „High-Profile“-Individuen nun, Accounts zu verifizieren.
      Einen „blauen Haken“ gibt es aber trotzdem nicht. Verifikation bedeutet bei Bluesky nach wie vor, dass Profile auf eine Website verweisen, in die die Nutzenden ein Stückchen Code einfügen müssen: Daher ist mein bluesky-Accountname @bjoernsta.de und nicht, wie ursprünglich, bjoernsta. Problem: @Bjoernsta ist damit wieder frei – auch für Menschen, die ihn missbrauchen wollen.
    Quelle: bsky.app.

    Dezentralität

    Dezentralität ist den allermeiste Nutzenden erstmal vor allem eines: egal. Dezentralität beschreibt, wie die Infrastruktur eines Netzwerkes gebaut ist. Ich hole mal aus:

    Warum sollte ich mich als Nutzende*r für „Dezentralität“ interessieren? Vielleicht ein Vergleich, nehmen wir ein Haus: Wer sich im Winter in einem geheizten Haus aufhält, interessiert sich nicht für die Struktur der Heizung. Wird es dann aber in einem Raum plötzlich richtig brrrrr-kalt, ist die Struktur der Heizungsanlage plötzlich interessant: Ist nur ein Heizkörper kaputt, oder die ganze Heizung? Kann ich in den Nebenraum weiterziehen und warm bleiben? Oder muss ich ein neues Haus bauen?

    Ähnlich verhält es sich mit Netzwerken: Als bei X-Twitter (nicht ganz so) plötzlich die Heizung ausfiel, war das ganze Netzwerk plötzlich kalt. Und wer Wärme suchte, musste weiterziehen und alles neu bauen: Follower, Folgende, Inhalte – alles weg, Neustart von Null. Deutet sich bei einem Mastodon-Server dagegen an, dass die Heizung ausfallen könnte, erlaubt das dezentrale System den Nutzenden, weiterzuziehen – in einen anderen Raum, also: zu einem anderen Server, und Follower, Folgende etc. mitzunehmen.

    Das Heizungssystem von Mastodon (und dem Fediverse) heisst „ActivityPub“, das von Bluesky „ATProto“ – zwei Protokolle wie „http“ oder „ftp“. Aber zwischen diesen beiden Protokollen/Heizungssystemen gibt es große Unterschiede. Christine Lemmer-Webber hat darüber gerade einen fantastischen Artikel geschrieben, der in die Tiefe geht. Kein Wunder, sie ist so etwas wie eine der Heizungsinstallateurinnen von ActivityPub, weil sie das Protokoll mit entwickelt hat.

    Dezentralität hat für sie mit Macht zu tun:

    Dezentralisierung ist das Ergebnis eines Systems, das die Macht über seine gesamte Struktur verteilt, so dass kein Knotenpunkt im Zentrum besondere Macht besitzt.

    Quelle: Dustycloud, Christine Lemmer-Webber.

    • Bluesky ist in der Praxis nicht dezentral zu betreiben: Zwar behaupten die Bluesky-Macher dies, Christine Lemmer-Webber sieht das jedoch anders. Denn theoretisch sei es zwar möglich, selbst einen Bluesky-Netzwerkknoten zu betreiben. Praktisch sind die Kosten für einen eigenen Knoten (Server) aber immens – zwischen mehreren tausend und bis zu 50.000 Euro pro Jahr, Tendenz rapide steigen. Denn jeder Bluesky-Knoten muss jeden einzelnen Post enthalten, jetzt und in Zukunft. Aktuell wären das 5 Terabyte. Bei Mastodon ist dies anders: Dort speichert ein Knoten nur die Posts, die für seine Nutzenden bestimmt sind. Der Betrieb von eimsbüttel.social kostet uns rund 120 Euro im Jahr.
    • Direct Messages bei Bluesky sind nicht dezentral: Das war für mich auch neu. Weil Bluesky möglichst schnell all das anbieten wollte, was Twitter bot, habe das Unternehmen ein System für Direktnachrichten eingeführt, das diese auf den Bluesky-Servern zentral speichere.
    • Unsere Bluesky-Identät hängt von Bluesky ab:

    Theoretisch ist zwar die Kontinuität der Identität bei einem Wechsel von einer Domäne zur nächsten möglich, doch geschieht dies nicht auf eine für die Benutzer verständliche Art und Weise; ein Wechsel von einer Domäne zur nächsten bedeutet einen vollständigen Wechsel des Handles, unter dem man bekannt ist, und eröffnet möglicherweise sogar einen Phishing-Angriffsvektor.

    Quelle: Dustycloud, Christine Lemmer-Webber.

    • Gut gemeint: Bluesky bietet damit die Möglichkeit für den „credible exit“ – wenn also das Unternehmen aus welchen Gründen auch immer nicht fortbestehe, könne ein anderer Akteur den Dienst fortführen (wenn er über ausreichend Geld verfügt). Die zu Grunde liegende Infrastruktur ist dafür offen genug – aber aus Sicht von Christine Lemmer-Webber eben nicht dezentral.

    Warum gewinnt Bluesky derzeit trotzdem gegen Mastodon?

    Es ist eine Mischung bekannter Gründe dafür, dass Mastodon und das Fediverse weitaus langsamer wachsen. Diese Gründe sind sowohl inhaltlich-kulturell als auch strukturell:

    Die etwas sperrige und unzugängliche Kultur von Mastodon und eine in Teilen schlechte Usability sind eine Einstiegshürde und schrecken Menschen ab. Im Gegenzug ist die Bereitschaft der Wechselnden sich auf etwas Neues und in Teilen Komplizierteres einzulassen nicht stark genug. Hinzu kommt auch ein in vielen Mastodon-Instanzen wehender Geist von Nischigkeit, Abgrenzung und Politikfeindlichkeit sowie eine Ablehnung der Twitterkultur generell.

    Quelle: netzpolitik.org.

    • Das tritt es ziemlich gut – Mastodon nehmen Neue oft als etwas hochnäsigen Besserwisser-Dienst wahr, in dem Neulinge oft schon nach wenigen Posts gemaßregelt werden, weil sie zum Beispiel Alt-Texte (Bildbeschreibungen) vergessen.
    • Threads-Lähmung: Jason Koebler, Mitgründer von 404 Media, sieht mögliche negative Folgen darin, dass Threads sich über ActivityPub mit dem Fediverse verbunden hat:

    „Meine Theorie und Befürchtung ist, dass Threads es den Leuten erlaubt hat, den Akt der Föderation durchzuführen, indem sie ihre Threads-Posts an das Fediversum weiterleiten, aber es erlaubt den Leuten auf Threads nicht, auf Leute auf Mastodon zu antworten. Das gibt den Leuten eine Erlaubnisstruktur, ihre Mastodon-Konten aufzugeben, Threads zu nutzen und sozusagen passiv in die Zukunft dezentraler sozialer Medien zu investieren, während sie gleichzeitig Mark Zuckerbergs Nebenprojekt mehr Macht geben.“

    Mehr über die Vor- und Nachteile der Threads-Verbindung mit dem Fediverse habe ich hier geschrieben.

    • Hobby-Verein: Anders als Bluesky verfügen Mastodon und das Fediverse eben nicht über Venture Capital. Mastodon ist ein kleines, gemeinnütziges Häuflein (das den Status der Gemeinnützigkeit in Deutschland gerade verloren hat), das seine 2,5 Beschäftigten vor allem über Crowd Funding finanziert: David gegen Goliath.
    Quelle: mastodon.social.
    • Nutzbarkeit: Dass neue Features auf Mastodon auf sich warten lassen, dass wichtige Veränderungen ausbleiben, führt aus Sicht mancher Nutzenden zu mangelnder „Usability“:
    Quelle: systemli.social.
    • Zu wenig Unterstützende: Demokratiestärkende Infrastruktur erhält zu wenig strukturelle Förderung, beispielsweise von Stiftungen oder staatlichen Akteuren. Und: Zu wenige Akteure pflegen ernsthaft eigene Accounts oder Server. Dabei ließe sich doch erwarten, dass mit öffentlichen Geldern finanzierte Inhalte beispielsweise nicht ausschließlich auf Instagram oder TikTok veröffentlich werden. Die öffentlich-rechtliche ARD betreibt beispielsweise immerhin (!) eine Handvoll Fediverse-Konten, aber mehrere hundert Facebook-, Instagram- oder TikTok-Auftritte. Und wenn experimentiert wird, geschieht dies oft mit zu wenig Ressourcen und Ernsthaftigkeit.

      In den Niederlanden hat Bjorn Wijers von der Initiative Public Spaces gerade den Rückzug des öffentlich-rechtlichen Fernsehanbieters NPO von Mastodon genauer angeschaut. Sein Ergebnis: Nur einer der Nutzenden hatte dem Mastodon-Account etwas mehr als ein Jahr Zeit gegeben, bei anderen Nutzenden lagen zwischen ersten und letzten Post nur rund 100 Tage. Wer hat in so kurzer Zeit schon erfolgreich ein Profil aufgebaut?

    Strich drunter: Was denkst Du?

    Mich überrascht immer wieder, wie wir Journalisten offenbar funktionieren: Erst dauert es ewig, bis wir endlich erkennen, dass wir das toxische Twitter verlassen müssen. Und dann empfehlen wir den Menschen, so wie die 60 Medienschaffenden im X-odus gerade auf Instagram, gerade den Wechsel zu Threads und Instagram (in aller Fairness: Auch Mastodon erwähnen die X-Odus-Journalist*innen an Platz drei oder vier erwähnt)! Irre!

    Ich verstehe, dass wir heutzutage an Threads oder TikTok nicht vorbeikommen, weil viele Menschen dort sind (möglicherweise auch, weil wir sie mit unseren Inhalten dorthin locken). Wir müssen dort zwangsläufig gute Angebote machen. Aber mit derselben Kraft müssen wir Alternativen stärken!

    Warum locken wir nun die Massen zu Bluesky, wenn die dahinterstehende Struktur kaum Besseres verspricht als das, was gerade bei Twitter passiert?

    Mein Fazit:

    Unabhängiger Journalismus ist auch eine strukturelle Frage, er muss auch die widerstandsfähige Unabhängigkeit eines Kanals, einer Plattform in den Blick nehmen. Es reicht doch nicht, dass Bluesky heute unabhängige Debatten zulässt – wir brauchen Plattformen, die dies zukunftssicher tun!

    Journalismus muss seiner Verantwortung gerecht werden: Selbstverständlich locken unsere guten Inhalte Menschen auf Plattformen! Wohin wollen wir sie also locken? Zur nächsten Musk-Katastrophe?

    Wir müssen resiliente, demokratiestärkende Alternativen in der Kommunikation unserer Gesellschaften stärken: mit Fördermitteln und mit aktivem Engagement öffentlicher Akteure in der Nutzung und Weiterentwicklung. Aus meiner Sicht ist das Fediverse mit dem vom World-Wide-Web-Konsortium anerkannten Protokoll ActivityPub im Moment die beste Alternative.

    Können wir bitte endlich lernen aus dem Niedergang von Twitter?

  • Twitter einfach löschen

    Twitter einfach löschen

    Screenshot Youtube Erklärvideo

    Der Trend geht gerade (zum Glück) zum Twitter-Abschied. Wer Elon Musk seine früheren Gedanken nicht hinterlassen will, der kann seine Posts einfach löschen mit diesem Script von Luca Hammer.

    Die Installation ist einfach und wird im Video gut erklärt. Es gibt zwei Varianten: Schnell werden die Posts gelöscht, wenn das Script dafür ein zuvor heruntergeladenes Twitter-Archiv nutzen kann. Langsamer geht´s über die „Advanced Options“, bei denen auf der Website Tweet für Tweet verschwindet.

  • Das Fediverse in guter Gesellschaft

    Das Fediverse in guter Gesellschaft

    Grafiken Scoopcamp nebeneinander, links Björn Staschen, Portät Mann mit Glatze, rechts Porträt Sascha Förster, vor rot-rosa Hintergrund

    Warum Medien an Fediverse und Mastodon nicht mehr vorbeikommen bespreche ich am 11. September 2024 mit Sascha Foerster, der den Mastodon-Server bonn.social betreibt, bei der Journalismus-Konferenz scoopcamp in Hamburg. Ich freue mich riesig, dass die aus Steuergeld geförderte Standortinitiative nextmedia.hamburg erneut, nach dem Themenfestival zur Attention Economy, auch alternativen Plattformen einen Raum neben wichtigen Branchenthemen gibt.

    Das eintägige Programm ist super – von „Newsfluencer – Warum in Zeiten von AI Community-Building wichtiger denn je ist“ über „WochenMOPO und 20 Mio. monatliche Online-Besuche: Transformation der ältesten Boulevardzeitung Deutschlands“ bis zu „Monetarisierung durch Engagement –
    Was Verlage von der Gaming-Branche lernen können?
    „. Es gibt noch Tickets (hier).

  • Das erste Fediverse-Bier,  Federalists Papers, Doc Pop und Sicherheitslücken

    Das erste Fediverse-Bier, Federalists Papers, Doc Pop und Sicherheitslücken

    Bierlabel "Metallhead Club Hell", weiße Schrift vor schwarz, Metall-Logo zental

    Das Fediverse hat sein erstes Bier (soweit ich weiß): 6 Flaschen „Metallhead Club Hell“ kosten 15,80 € zuzüglich Versand, und wie ihr sie bestellen könnt, steht hier. Das Bier ist in einer Zusammenarbeit zwischen der Instanz metallhead.club und den Regensburger Bierbrauern von freibier.cc entstanden, die nicht nur auf Mastodon aktiv sind, sondern auch versprechen, dass sie „freies Bier brauen“: „Das heißt, wir veröffentlichen alle unsere Rezepte und Protokolle online.

    The Fediversalist Papers: Darius Kazemi und Erin Kissane haben die Betreiber von Fediverse-Instanzen befragt, wie sie ihre Server betreiben, genauer: Wie erarbeiten sie Moderationsregeln, wie treffen sie Entscheidungen, und steht hinter dem Server ein Verein, eine Institution, eine Privatperson? Ihre Forschungsfrage formulieren sie so: „Vor allem wollten wir mehr darüber erfahren, was hinter dem Vorhang des Fediverse-Serverbetriebs geschieht, und dieses Wissen weit verbreiten, um anderen Serverteams zu helfen, sich gemeinsam auf ein höheres Niveau zu begeben – und um vielleicht Merkmale der Server-Governance aufzudecken, die für andere von Bedeutung sein könnten, die versuchen, nachhaltige Alternativen zu zentralisierten kommerziellen Plattformen aufzubauen, sei es im Fediverse oder anderswo.“ Herausgekommen ist ein dickes, spannendes PDF zusammen mit einer kleinen Website. Zudem gibt es einen Quick-Start-Guide für Fidiverse Governance. Sie raten zu einem robusten und diversen Moderationsteam und strukturierter Entscheidungsfindung.

    Thumbnail eines Yewtu.be-Videos, Bildmontage, Mann mit Brille, dicke schwarze Ränder, Bart, vor einem Monitor, Aufschrift: "What is the Fediverse"?

    Was ist das Fediverse? Ein ziemlich gutes Video beantwortet diese Frage. Spiele-Designer, Illustrator und Musiker Doc Pop hat es prouduziert, und es ist schon sehr wohltuend, dass das Fediverse mal mit Leichtigkeit und Augenzwinkern erklärt wird, ohne erhobene Zeigefinger oder zu viel Mansplaining. (Yep, manchmal gehen mir die bekannten Tech-Besserwissereien auch auf den Zeiger…)

    Schwerwiegende Sicherheitslücken bei Mastodon hat das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik aufgedeckt, berichtet heise.de. . Im Rahmen eines Projekts zur Codeanalyse von Open-Source-Software (Caos 2.0) haben Experten bei Mastodon mehrere Schwachstellen gefunden, über die Angreifer aus der Ferne gezielt vertrauliche Informationen über Nutzende erhalten können. Auch bei den dezentralen Matrix-Messenger-Servern fanden die Experten Schwachstellen. Sie kritisieren mit Blick auf den Code „gewachsene, unaufgeräumte Projekte“ – kein Wunder, stecken hinter der Mastodon-Infrastruktur eben kaum Menschen, die den Dienst beruflich in Vollzeit betreiben. Das ließe sich ändern, mit mehr Förderung.

  • Erste deutsche Polizeibehörde verlässt X-Twitter. Aber…

    Erste deutsche Polizeibehörde verlässt X-Twitter. Aber…

    Screenshot eines Tweets der Polizei Osnabrück, Textauszug "Wir verabschieden und von X"

    Was ist da los? Die Polizeidirektion Osnabrück, zuständig für die Inspektionen Osnabrück, Emsland/Grafschaft Bentheim Leer/Emden und Aurich/Wittmund, schließt ihre Accounts bei X-Twitter. Aber nicht etwa, weil die Polizeidirektion das Umfeld von Hass und Desinformation meiden will – das wäre ein starkes Statement. Es geht Polizeipräsident Michael Maßmann in einer Pressemitteilung eher um „Mehrwert“ und „größere Reichweite“:

    „Die Kommunikation und das Nutzungsverhalten auf X haben sich verändert. Wir sehen für uns als Polizeidirektion nicht mehr den absoluten Mehrwert und satteln um. Insbesondere gehen wir bei der Krisenkommunikation neue Wege und nutzen WhatsApp-Channel. Wir versprechen uns von dem Wechsel eine noch größere Reichweite und viele zufriedene und gut informierte Userinnen und User. Für uns steht eine transparente und bürgernahe Kommunikation im Vordergrund.“

    Polizeipräsident Michael Maßmann, Pressemitteilung Polizeidirektion Osnabrück

    Wie will die Polizeidirektion denn „Reichweite“ und „Mehrwert“ herstellen? Sie nutzte X-Twitter bisher für „einsatzbegleitende Kommunikation, insbesondere bei größeren Polizeieinsätzen bis hin zu Amok- oder Terrorlagen“. Nun verlagert sie diese Kommunikation zu, Überraschung: WhatsApp. Vier Kanäle, einer für jede Polizeiinspektion, sollen künftig rund 1,5 Millionen Bürger*innen erreichen. Daneben nutze die Polizei „für ihre Online-Kommunikation seit mehreren Jahren bereits die Plattformen Instagram, Facebook und LinkedIn“.

    Zwei Männer, links einer in Uniform, Namensschild "Ellermann", rechts einer in schwarzem Jacket und weißem Hemd, halten Whatsapp-Logo auf Tablet.
    V.l. Marco Ellermann (Sprecher der Osnabrücker Behörde) zusammen mit Polizeipräsident Michael Maßmann. Bild: Polizei Osnabrück.

    Strich drunter, was willst Du uns sagen? Nah liegen Plattitüden wie „vom Regen in die Traufe“: Was für eine vertane Chance! Da verlässt die erste Polizeidirektion Deutschlands X-Twitter, nur, um der nächsten monolithischen Plattform die Nutzenden zuzuschieben. In der Vergangenheit hat WhatsApp seine Channel bereits einmal abgeschafft, um sie später wieder zu öffnen – ist das unabhängige Behördenkommunikation? Bedauerlich, dass unter den weiteren Plattformen nicht eine auftaucht, die Demokratie stärkt. Für eine Polizeidirektion sollte das ein zentraler Wert sein.

  • Brasilien: Alternativen suchen, Alternativen finden (wenn sie denn bekannt sind)

    Brasilien: Alternativen suchen, Alternativen finden (wenn sie denn bekannt sind)

    „X began to go dark across Brazil on Saturday…“, schreibt die New York Times – es gibt keine deutsche Übersetzung dafür, die es ähnlich gut beschreibt: Eine Plattform verabschiedet sich aus dem Leben der Brasilianer, die sich, wie AP berichtet, „von der Welt getrennt fühlen„. Brasilien war bis dato einer der größten Märkte für X-Twitter, mit rund 22 Millionen Nutzenden, aber das ist (zunächst) vorbei, seit Elon Musk sich der Anordnung des Richters Alexandre de Moraes widersetzte. Der hatte – nach längerem Streit um Hass und Desinformation – zuletzt verlangt, dass X-Twitter einen gesetzlichen Vertreter im Land benennt, nachdem der Dienst vor zwei Wochen seine Büros in Brasilien geschlossen hatte. Nun ordnete er an, die Plattform in Brasilien zu blockieren.

    Ausriss Website APNews

    Warum ist das auch für uns von Bedeutung? Ein Milliardär entscheidet über die Kommunikation in einem riesigen Land – Kommunikation, die eine Voraussetzung ist für das Gelingen einer Demokratie. Die Auseinandersetzung in Brasilien zeigt, wie problematisch die Rolle der monolithischen Plattformen für unsere Gesellschaften ist. Musk widersetzte sich den in Brasilien geltenden Gesetzen – und ein Richter ordnete schließlich an, dass der Dienst nicht mehr erreichbar sein darf. Das ist konsequent, zeigt aber auch, in welchem Dilemma der Richter steckte: Er konnte nur das Äußerste anordnen – die Blockade eines Dienstes, den Millionen Menschen nutzen – weil dessen Besitzer Gesetze wiederholt missachtet.

    Was passiert jetzt in Brasilien? Viele Medien (unter anderem AP oder The Verge) berichten nun, dass die Nutzenden vor allem zu Bluesky wechseln. Eine halbe Million neue Nutzende hatte der Dienst allein bis Freitagabend in Brasilien gewonnen. Bluesky nutzt das selbst entwickelte ATProtokoll (wie Mastodon ActivityPub), ist aber streng gesehen keine gute Alternative (mehr dazu hier).

    Warum wechseln die Menschen zu Bluesky, aber nicht zu Mastodon? Sie tun offenbar beides, aber Mastodon scheint in der öffentlichen Berichterstattung eine geringere Rolle zu spielen. Collectifission kritisiert auf Mastodon (übersetzt): „Ich bin etwas überrascht, dass die joinmastodon-Website keinen Abschnitt hat, in dem brasilianische Nutzer willkommen geheißen werden.“ Jetzt sei genau der Zeitpunkt, an dem mehrere zehn Millionen Nutzende eine neue Heimat suchen, meint Collectifission, und er hat Recht.

    Bluesky macht es besser als Mastodon und ergreift die Gelegenheit beim Schopfe, Nutzende aus Brasilien willkommen zu heißen.

    Profitiert Mastodon denn gar nicht? Doch, auch Mastodon verzeichnet deutliche Zuwächse. Am 31. August (so muss es in dem Trööt von Mastodon-CEO Eugen Rochko gemeint sein, den er am 1. September um 00.59 Uhr veröffentlichte) kamen auf dem Server mastodon.social 4200 Menschen aus Brasilien hinzu – auch weitere Server verzeichnen offenbar Wachstum.

    Es scheint so, als wäre der Zuwachs genau zum Monatswechsel auch deutlich in den Mastodon-Nutzendenzahlen von FediDB zu sehen (obwohl ich nicht verifizieren kann, dass sie aus Brasilien stammen):

    Quelle: Fedidb.org

    Strich drunter, was willst Du uns sagen? Das, was in Brasilien passiert, sagt viel über die Rolle von Plattformen in Gesellschaften und über damit verbundene Mechanismen:

    • Eine Plattform kann von heute auf morgen verschwinden, verstummen, mitsamt persönlichen Followern, Inhalten, und Menschen und Institutionen ihre Möglichkeit nehmen, zu kommunizieren – vom Bundeskanzler zur Polizei zu Dir oder mir.
    • Monolithische Plattformen wie X-Twitter, Instagram, LinkedIn oder TikTok erlauben es nicht, Accounts zu migrieren, wenn sie verstummen. Wir sind ihnen ausgeliefert. Das allein spricht gegen sie.
    • Protokolle wie ActivityPub verbinden Dienste und erlauben, mit Accounts umzuziehen – sie sind das Gegenteil von monolithischen Plattformen, die sich und uns einschließen.
    • Wenn Plattformen verschwinden, suchen Menschen Alternativen. Diese Alternativen müssen in diesem konkreten Moment aktiv, bekannt, relevant sein, damit sie genutzt werden.
    • Es reicht nicht, Alternativen erst dann aufzubauen, wenn Menschen bereits nach ihnen suchen.
    • Mastodon muss solche Momente stärker für sich nutzen. Wir brauchen mehr Menschen, die Momente erkennen und Angebote schaffen. Das kann Mastodon-CEO Eugen Rochko mit seinem kleinen Team nicht allein – Mastodon und das Fediverse sind wir alle.

  • Warum Journalisten nicht mehr ums Fediverse herumkommen

    Warum Journalisten nicht mehr ums Fediverse herumkommen

    Anfang August kippte das Bundesverfassungsgericht die Teile der Wahlrechtsreform der Ampelkoalition. Für die alternativen Netzwerke Bluesky und das Fediverse war das mit einem kleinen Sieg verbunden. Warum?

    Deutscher Bundestag, Bild: Times, CC BY-SA 3.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0, via Wikimedia Commons

    Was hat das Fediverse mit Journalismus zu tun? Ich hole mal weit aus: Im Dezember 2008 saß ich in einem Schulungsraum in Hamburg und richtete zum ersten Mal meinen X-Twitter-Account ein. Vorn stand Claus Hessling (ewiger early adopter), der mir und Kolleg*innen beizubringen versuchte, wie das Netzwerk funktionierte. In den folgenden Jahren habe ich gelernt, wie wichtig das Netzwerk für meine Arbeit sein würde: Vor allem bei der Berichterstattung über Demonstrationen (darunter den Hamburger G20-Gipfel) war X-Twitter nicht nur ein Kanal, um Informationen weiterzugeben, sondern auch eine unverzichtbare Quelle: Als Reporter konnte ich nicht überall sein, aber andere X-Twitter-Nutzer halfen mir mit ihren Nachrichten, den Überblick beispielsweise über Proteste zu behalten. X-Twitter war damals für mich unverzichtbar als Arbeitswerkzeug, und zwar im Dialog, keine Einbahnstraße. Aber das ist, wir wissen es, vorbei.

    Was ist heute unverzichtbar? Für mich wird das Fediverse immer wichtiger, aber das hat auch etwas mit der richtigen „Crowd“ zu tun: Vor allem auf Mastodon finde ich viele Menschen, die sich auch mit meinen Herzensthemen (Datensicherheit, alternative Plattformen, Big-Tech-Regulierung) beschäftigen. Aber nach und nach weitet sich der Themenkreis im Fediverse, so weit, dass Journalismus aus meiner Sicht um das Fediverse nicht mehr herumkommen kann.

    Was ist passiert? Am 30. Juli verkündete das Bundesverfassungsgericht, dass die Wahlrechtsreform, für die vor allem die Ampelkoalition eingetreten war, der Ampelkoalition in Teilen verfassungswidrig ist. Einen Tag zuvor aber war die Urteilsbegründung bereits online beim Gericht abrufbar – ein Zufallsfund, den der Nutzer mq868q auf Bluesky und Mastodon veröffentlichte.

    Ein echter Scoop, veröffentlicht auf Mastodon und Bluesky. Bis erste Medien die Nachricht entdeckten, dauerte es etwas mehr als eine Stunde – eine lange Zeit. Mq86mq hat den Weg, den seine Recherche nahm, nachverfolgt, und schreibt, dass die Nachricht es erst dann in die etablierten Medien schaffte, als ein Nutzer sie auf Twitter teite:

    Der X-Tweet, der schließlich die ersten Journalist*innen erreichte, ist danach dieser hier vom Deutsch-Kanadier Philip Le Butt, einem niedersächsischen SPD-Politiker und DGB-Rechtsschutzsekretär:

    Hätte mq86mq direkt einen X-Tweet abgesetzt, wäre die Nachricht mutmaßlich binnen Sekunden in die Online-Ausgaben der Medien gespült worden. Das zeigt, wie wenig Journalist*innen das Fediverse auf dem Schirm haben.

    Wer steckt hinter dem Scoop? Mq86mq, der übrigens nicht mit vollen Namen bekannt werden möchte, gab dem SPIEGEL am Tag nach seinem Coup ein Interview, in dem er nicht nur erklärte, wie er an die Urteilsbegrünung gelangte.

    Generell halte ich viel von Transparenz. Ich habe kurz erwogen, es für mich zu behalten und mir so privat auch für die Zukunft einen Wissensvorsprung zu sichern. Ein richtiger Schaden ist nicht entstanden, ich bekam aber eine Menge Aufmerksamkeit.

    Quelle: Interview bei Der Spiegel Online

    Wie hat das Bundesverfassungsgericht reagiert? Ein wenig so, wie man es vom höchsten deutschen Gericht erwarten würde: weder locker noch lässig. Der Fund der Urteilsbegründung vor der eigentlichen Veröffentlichung war dem BVG sogar eine eigene Pressemitteilung wert:

    „Das Bundesverfassungsgericht bedauert, dass offenbar bereits am gestrigen Tag eine Version der schriftlichen Urteilsgründe vorübergehend über das Internet öffentlich zugänglich war. Es gibt derzeit Anhaltspunkte dafür, dass dies eine technische Ursache hatte. Der Direktor beim Bundesverfassungsgericht ist damit beauftragt, die genauen Umstände aufzuklären und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, die einen solchen Fall in Zukunft verhindern.“

    Quelle: Bundesverfassungsgericht

    Strich drunter: Was willst Du uns sagen? Journalist*innen, die ihre Arbeit ernst nehmen, kommen am Fediverse nicht mehr vorbei. Nicht nur, weil X-Twitter und andere Netzwerke unsere Demokratie gefährden. Sondern eben auch, weil im Fediverse relevanter Nachrichtenwert entsteht. Es ist für Journos nicht ganz so einfach wie es einmal war – es reicht nicht, nur Twitter, Facebook oder TikTok im Blick zu haben: Die Zahl der Quellen hat deutlich zugenommen. Aber das ist eben der Job von Journalist*innen – viele Quellen im Blick zu behalten und uns herauszufiltern, was wissenswert ist. Dieses Mal stand es eben auf Mastodon und Bluesky.

    Gibt es nicht schon viele Journalist*innen im Fediverse? Einige Journalisten sind in der Tat schon da: Du findest sie zum Beispiel bei Mastodir oder über verifiedjournalists.org. Aber viele fehlen noch. Also: We hope to see you there.

    Hinweis: Dies ist eine bearbeitete Version des ursprünglichen Textes, in die ich die Informationen von mq86mq zum „Weg der Nachricht“ (siehe Kommentare) eingearbeitet habe. Zudem habe ich einige Formulierungen nach Kritik in den Kommentaren geschärft (erkennbar durch Streichungen).

  • Meta schaltet Trump frei, Firefox sammelt ungefragt Daten und Gedanken über das Web und die Welt

    Meta schaltet Trump frei, Firefox sammelt ungefragt Daten und Gedanken über das Web und die Welt

    Meta schaltet Trump frei – kurz vor seiner Nominierung auf dem Parteitag der Republikaner. netzpolitik.org berichtet über das Update einer alten Pressemitteilung, in der Meta das Ende der Beschränkung von Trumps Accounts auf Instagram und Facebook verkündet: „The public should be able to hear what politicians are saying so they can make informed choices.“ Angeblich wende Meta neue Regeln an, um Verstöße zu ahnden. Wie das klappt, wird der Wahlkampf zeigen. Und wieder stellt sich die Grundsatzfrage: Ist das überhaupt eine Entscheidung, die eine Gesellschaft einem einzelnen Konzern(-Boss wie Zuck) überlassen sollte?

    Firefox sammelt Werbedaten: Der Browser der Mozilla-Foundation kommt neuerdings mit einer Datensammelfunktion, die Nutzende aktiv ausschalten müssen (netzpolitik.org beschreibt zum Beispiel, wie das geht). Der frühere Mozilla-Mitarbeiter Gabriele Svelto wünscht sich in einem lesenswerten Thread vor allem mehr Transparenz von der Mozilla-Stiftung, während er gleichzeitig nachvollziehen kann, dass sie irgendwie Geld verdienen muss, um einen Browser wie Firefox anzubieten.

    Meditations on the human web hat Michael Taggart seinen lesenswerten Text über den „State des Web“ genannt. Weil Big Tech dem Planeten allein schon durch den massiven CO2-Fußabdruck schade, weil KI-Modelle das Web übernehmen und damit auch Existenzen von Menschen, die im Web ihren Lebensunterhalt verdienen, gefährden, ruft er zur Rettung des „old web“ auf, und zwar als „Human Web“, das über Protokolle zugänglich ist, in der Menschen miteinander verbunden sind und Verantwortung übernehmen.

    Eine kleine Welt baut smallworld.blinry.org: „Die Erde ist groß. Sehr, sehr groß. So unvorstellbar groß, dass es uns schwer fallen kann, sie zu begreifen. Wir wollen sie leichter begreifbar machen!“ Wie ein Zauberstab verkleinert die Website die Erde und ihre großen Zahlen – aus einer Millionen wird eins. Und so manches Verhältnis wird sehr anschaulich, zum Beispiel das zwischen der Zahl der Menschen auf der Welt und der Zahl ihrer Autos 🚗🚘.

    Ich bin umgezogen. Bisher hatte ich zwei Mastodon-Adressen, eine auf journa.host, eine auf eimsbuettel.social. Journa.host ist eine tolle Instanz, die nur verifzierte Journalisten zulässt, und ich bin sehr dankbar für die Zeit dort. Zusammen mit Andreas und Jan habe ich jedoch vor ein paar Monaten eimsbuettel.social gestartet, weil Machen besser ist als Reden. Wir wollen nach und nach mehr Menschen aus unserem Hamburger Stadtteil von einem Projekt überzeugen, das vielleicht bald schon ein Verein trägt, der seine Moderationsregeln festlegt und reale Verbindung neben die im Web stellt. Also war es Zeit, ernst zu machen und nur noch hier zu wohnen. Wer dabei sein möchte – kurze Nachricht reicht, wir freuen uns!

  • Start-Tipp: Wie finde ich eigentlich den richtigen Server?

    Start-Tipp: Wie finde ich eigentlich den richtigen Server?

    Screenshot joinmastodon.org/servers

    „Mastodon ist ja so kompliziert“, höre ich immer wieder, wenn ich davon erzähle. Ich bin wirklich überzeugt davon, dass das Unsinn ist – denn niemand von uns würde das über E-Mails sagen. Dabei sind für die Einrichtung einer E-Mail-Adresse etwa dieselben Schritte nötig wie für einen Start auf Mastodon:

    1. Entscheide Dich für einen Server (bei E-Mail AOL, proton.me oder, oder, oder) – bei Mastodon zum Beispiel eimsbuettel.social.
    2. Lege Dir einen Namen zu (bei E-Mail b.staschen oder bjoern) – bei Mastodon zum Beispiel @bjoernsta.

    Die Suche nach einem E-Mail-Server ist auch in etwa so aufwändig wie die für einen Mastodon-Server: Du musst Dich nur entscheiden, was Du willst1. Kürzlich hatte die Hamburger Standort-Initiative nextmedia zum Themenfestival „Attention Economy: Aufmerksamkeit neu denken“ eingeladen. Und ich hab mich wie Bolle gefreut, dass das Fediverse neben TikTok, Youtube & Co. auch ein Thema war. Nach meinem Vortrag hat mich dann ein Teilnehmer gefragt:

    In meinem Vortrag beim nextmedia Themenfestival ging´s neben dem Fediverse auch um E-Mail und RSS-Feeds.

    „Aber wie finde ich denn den richtigen Server?“ Gute Frage. Vielen Einsteigern wird zur „Mutter-Instanz“ von Mastodon geraten, mastodon.social. Dieser Server ist mit 2 Millionen Nutzenden auch die größte Instanz – und sicherlich kein schlechter Startpunkt. Mastodon.social läuft unter der neuesten Software-Version, weil sie ja von den Betreibern selbst entwickelt wird. Nutzende können sich sicher darauf verlassen, dass der Server lange leben wird (hoffe ich). Wer dann irgendwann mit Mastodon warm geworden ist, wird sich vielleicht später einen anderen Server suchen: Umzuziehen ist kein Problem.

    Was spricht für andere Server? Unterschiedliche Server, unterschiedliche Regeln: Es gibt große Differenzen zwischen den Servern, beispielsweise in der Frage, ob sie mit Threads föderieren oder nicht. Andere verwenden viel (oder wenig) Energie darauf, wie sie mit Hate Speech umgehen, welche Moderationsregeln sie verfolgen: Manche Server sind ganz bewusste als „sicherer Hafen“ eingerichtet, auch für bestimmte Interessengruppen.

    Wie finde ich andere Server? Wer sich einen Überblick über verschiedene Server verschaffen will, der kann das beispielsweise nach Größe tun: fedidb.org wertet Fediverse-Daten aus und aktualisiert ständig eine Liste der größten Instanzen. Unter den zehn größten Fediverse-Instanzen sind acht Mastodon-Server.

    Ein thematisches Verzeichnis der Server liefert Mastodon selbst: Auf der Seite joinmastodon.org lassen sich Server nach Region, Thema, Sprache, Registrierungsart und sogar Betreiberstruktur filtern. Allerdings sind nicht alle verfügbaren Server aufgeführt, sondern nur die, die sich einer Selbstverpflichtung unterwerfen. Bei jedem Server lohnt es sich, die Server-Regeln zu lesen (meine Heimat eimsbuettel.social hat zu Beispiel diese, dann „Serverregeln“ aufklappen).

    1. I know, leichter gesagt als gesagt, siehe real life ↩︎
  • „Weniger Desinformation“: Niederlande umarmen Mastodon

    „Weniger Desinformation“: Niederlande umarmen Mastodon

    Die Niederlande machen ernst. Seit einem Jahr betreibt die Regierung bereits die Mastodon-Instanz social.overheid.nl (was so viel heisst wie „sozial.regierung.niederlande) – bisher ein Pilotversuch, der nun in den Dauerbetrieb geht. Ab 2025 sollen alle Regierungsorganisationen und -ebenen die Möglichkeit erhalten, Mastodon zu nutzen. In einem Blog-Beitrag begründet die „Digitalregierung“ (eine Seite „für Fachleute, die an der Digitalisierung arbeiten“) die Entscheidung so:

    „Das trägt zur Verringerung der Verbreitung von Desinformation und zum Rückgang der Abhängigkeit von kommerziellen Social-Media-Plattformen bei. Das stärkt die digitale Autonomie und die sichere und zuverlässige Informationsversorgung. Das kann das Vertrauen der Menschen in die digitale Welt stärken.“

    Quelle: digitaleoverheid.nl

    Warum ist das wichtig? Die Niederlande haben in ihrer Digitalstrategie die Dezentralisierung von Angeboten und die Datensouveränität als wichtige Ziele festgeschrieben (darüber habe ich schon vor ein paar Wochen geschrieben). Digitalministerin Alexandra van Huffelen tritt mit Mastodon-Brosche auf Konferenzen auf, und auf europäischer Ebene propagieren die Niederlande EDIC, also gemeinschaftlich kontrollierte, offene Software und Plattformen.

    Wie lief der Pilotversuch bisher? Sind wir ehrlich: nur „ganz ok“. Der Mastodon-Server der niederländischen Regierung hat bisher knapp 40 Nutzende – vom Königlich Meteorologischen Institut mit 3600 Followern über Ministerin van Huffelen (2500 Follower, siehe oben) bis hin zum Statistikbüro der Niederlande mit gerade mal 105 Followern – aller Anfang ist schwer. Zum Vergleich: Auf der anderen Seite erreicht der rechtspopulistische Geert Wilders, der bei der letzten Parlamentswahl 23 Prozent der Stimmen einstrich und an der Koalitionsregierung beteiligt ist, mit seinem X-Twitter-Account noch immer 1,4 Millionen Follower.

    Bewusst ohne Link: Rechtspopulist Wilders nutzt X-Twitter.

    Strich drunter – bringt das dann überhaupt etwas? Auf der Public Spaces Conferences im Frühjahr in Amsterdam habe ich mit einem der Macher der „Overheid“-Instanz gesprochen, der den Erfolg eher zurückhaltend bewertete. Umso besser, dass die Regierung (trotz Regierungswechsel) dieses Projekt nicht aufgibt. Das Brett, alternative Plattformen zu stärken, ist dick. Ich find´s prima, dass die Niederlande weitermachen, trotz (oder gerade wegen) Wahlerfolgen von Populisten wie Geert Wilders. Denn eine Regierung entwirft politische Strategien – und dass dezentrale, demokratiestärkende Netzwerke in dieser Strategie einen Platz finden, das muss man sich für die Bundesrepublik erst noch wünschen.