Warum Medien an Fediverse und Mastodon nicht mehr vorbeikommen bespreche ich am 11. September 2024 mit Sascha Foerster, der den Mastodon-Server bonn.social betreibt, bei der Journalismus-Konferenz scoopcamp in Hamburg. Ich freue mich riesig, dass die aus Steuergeld geförderte Standortinitiative nextmedia.hamburg erneut, nach dem Themenfestival zur Attention Economy, auch alternativen Plattformen einen Raum neben wichtigen Branchenthemen gibt.
Das eintägige Programm ist super – von „Newsfluencer – Warum in Zeiten von AI Community-Building wichtiger denn je ist“ über „WochenMOPO und 20 Mio. monatliche Online-Besuche: Transformation der ältesten Boulevardzeitung Deutschlands“ bis zu „Monetarisierung durch Engagement – Was Verlage von der Gaming-Branche lernen können?„. Es gibt noch Tickets (hier).
Das Fediverse hat sein erstes Bier (soweit ich weiß): 6 Flaschen „Metallhead Club Hell“ kosten 15,80 € zuzüglich Versand, und wie ihr sie bestellen könnt, steht hier. Das Bier ist in einer Zusammenarbeit zwischen der Instanz metallhead.club und den Regensburger Bierbrauern von freibier.cc entstanden, die nicht nur auf Mastodon aktiv sind, sondern auch versprechen, dass sie „freies Bier brauen“: „Das heißt, wir veröffentlichen alle unsere Rezepte und Protokolle online.„
The Fediversalist Papers: Darius Kazemi und Erin Kissane haben die Betreiber von Fediverse-Instanzen befragt, wie sie ihre Server betreiben, genauer: Wie erarbeiten sie Moderationsregeln, wie treffen sie Entscheidungen, und steht hinter dem Server ein Verein, eine Institution, eine Privatperson? Ihre Forschungsfrage formulieren sie so: „Vor allem wollten wir mehr darüber erfahren, was hinter dem Vorhang des Fediverse-Serverbetriebs geschieht, und dieses Wissen weit verbreiten, um anderen Serverteams zu helfen, sich gemeinsam auf ein höheres Niveau zu begeben – und um vielleicht Merkmale der Server-Governance aufzudecken, die für andere von Bedeutung sein könnten, die versuchen, nachhaltige Alternativen zu zentralisierten kommerziellen Plattformen aufzubauen, sei es im Fediverse oder anderswo.“ Herausgekommen ist ein dickes, spannendes PDF zusammen mit einer kleinen Website. Zudem gibt es einen Quick-Start-Guide für Fidiverse Governance. Sie raten zu einem robusten und diversen Moderationsteam und strukturierter Entscheidungsfindung.
Was ist das Fediverse? Ein ziemlich gutes Video beantwortet diese Frage. Spiele-Designer, Illustrator und Musiker Doc Pop hat es prouduziert, und es ist schon sehr wohltuend, dass das Fediverse mal mit Leichtigkeit und Augenzwinkern erklärt wird, ohne erhobene Zeigefinger oder zu viel Mansplaining. (Yep, manchmal gehen mir die bekannten Tech-Besserwissereien auch auf den Zeiger…)
Schwerwiegende Sicherheitslücken bei Mastodon hat das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik aufgedeckt, berichtet heise.de. . Im Rahmen eines Projekts zur Codeanalyse von Open-Source-Software (Caos 2.0) haben Experten bei Mastodon mehrere Schwachstellen gefunden, über die Angreifer aus der Ferne gezielt vertrauliche Informationen über Nutzende erhalten können. Auch bei den dezentralen Matrix-Messenger-Servern fanden die Experten Schwachstellen. Sie kritisieren mit Blick auf den Code „gewachsene, unaufgeräumte Projekte“ – kein Wunder, stecken hinter der Mastodon-Infrastruktur eben kaum Menschen, die den Dienst beruflich in Vollzeit betreiben. Das ließe sich ändern, mit mehr Förderung.
Was ist da los? Die Polizeidirektion Osnabrück, zuständig für die Inspektionen Osnabrück, Emsland/Grafschaft Bentheim Leer/Emden und Aurich/Wittmund, schließt ihre Accounts bei X-Twitter. Aber nicht etwa, weil die Polizeidirektion das Umfeld von Hass und Desinformation meiden will – das wäre ein starkes Statement. Es geht Polizeipräsident Michael Maßmann in einer Pressemitteilung eher um „Mehrwert“ und „größere Reichweite“:
„Die Kommunikation und das Nutzungsverhalten auf X haben sich verändert. Wir sehen für uns als Polizeidirektion nicht mehr den absoluten Mehrwert und satteln um. Insbesondere gehen wir bei der Krisenkommunikation neue Wege und nutzen WhatsApp-Channel. Wir versprechen uns von dem Wechsel eine noch größere Reichweite und viele zufriedene und gut informierte Userinnen und User. Für uns steht eine transparente und bürgernahe Kommunikation im Vordergrund.“
Wie will die Polizeidirektion denn „Reichweite“ und „Mehrwert“ herstellen? Sie nutzte X-Twitter bisher für „einsatzbegleitende Kommunikation, insbesondere bei größeren Polizeieinsätzen bis hin zu Amok- oder Terrorlagen“. Nun verlagert sie diese Kommunikation zu, Überraschung: WhatsApp. Vier Kanäle, einer für jede Polizeiinspektion, sollen künftig rund 1,5 Millionen Bürger*innen erreichen. Daneben nutze die Polizei „für ihre Online-Kommunikation seit mehreren Jahren bereits die Plattformen Instagram, Facebook und LinkedIn“.
V.l. Marco Ellermann (Sprecher der Osnabrücker Behörde) zusammen mit Polizeipräsident Michael Maßmann. Bild: Polizei Osnabrück.
Strich drunter, was willst Du uns sagen? Nah liegen Plattitüden wie „vom Regen in die Traufe“: Was für eine vertane Chance! Da verlässt die erste Polizeidirektion Deutschlands X-Twitter, nur, um der nächsten monolithischen Plattform die Nutzenden zuzuschieben. In der Vergangenheit hat WhatsApp seine Channel bereits einmal abgeschafft, um sie später wieder zu öffnen – ist das unabhängige Behördenkommunikation? Bedauerlich, dass unter den weiteren Plattformen nicht eine auftaucht, die Demokratie stärkt. Für eine Polizeidirektion sollte das ein zentraler Wert sein.
„X began to go dark across Brazil on Saturday…“, schreibt die New York Times – es gibt keine deutsche Übersetzung dafür, die es ähnlich gut beschreibt: Eine Plattform verabschiedet sich aus dem Leben der Brasilianer, die sich, wie AP berichtet, „von der Welt getrennt fühlen„. Brasilien war bis dato einer der größten Märkte für X-Twitter, mit rund 22 Millionen Nutzenden, aber das ist (zunächst) vorbei, seit Elon Musk sich der Anordnung des Richters Alexandre de Moraes widersetzte. Der hatte – nach längerem Streit um Hass und Desinformation – zuletzt verlangt, dass X-Twitter einen gesetzlichen Vertreter im Land benennt, nachdem der Dienst vor zwei Wochen seine Büros in Brasilien geschlossen hatte. Nun ordnete er an, die Plattform in Brasilien zu blockieren.
Ausriss Website APNews
Warum ist das auch für uns von Bedeutung? Ein Milliardär entscheidet über die Kommunikation in einem riesigen Land – Kommunikation, die eine Voraussetzung ist für das Gelingen einer Demokratie. Die Auseinandersetzung in Brasilien zeigt, wie problematisch die Rolle der monolithischen Plattformen für unsere Gesellschaften ist. Musk widersetzte sich den in Brasilien geltenden Gesetzen – und ein Richter ordnete schließlich an, dass der Dienst nicht mehr erreichbar sein darf. Das ist konsequent, zeigt aber auch, in welchem Dilemma der Richter steckte: Er konnte nur das Äußerste anordnen – die Blockade eines Dienstes, den Millionen Menschen nutzen – weil dessen Besitzer Gesetze wiederholt missachtet.
Was passiert jetzt in Brasilien? Viele Medien (unter anderem AP oder The Verge) berichten nun, dass die Nutzenden vor allem zu Bluesky wechseln. Eine halbe Million neue Nutzende hatte der Dienst allein bis Freitagabend in Brasilien gewonnen. Bluesky nutzt das selbst entwickelte ATProtokoll (wie Mastodon ActivityPub), ist aber streng gesehen keine gute Alternative (mehr dazu hier).
Warum wechseln die Menschen zu Bluesky, aber nicht zu Mastodon? Sie tun offenbar beides, aber Mastodon scheint in der öffentlichen Berichterstattung eine geringere Rolle zu spielen. Collectifissionkritisiert auf Mastodon (übersetzt): „Ich bin etwas überrascht, dass die joinmastodon-Website keinen Abschnitt hat, in dem brasilianische Nutzer willkommen geheißen werden.“ Jetzt sei genau der Zeitpunkt, an dem mehrere zehn Millionen Nutzende eine neue Heimat suchen, meint Collectifission, und er hat Recht.
Bluesky macht es besser als Mastodon und ergreift die Gelegenheit beim Schopfe, Nutzende aus Brasilien willkommen zu heißen.
Profitiert Mastodon denn gar nicht? Doch, auch Mastodon verzeichnet deutliche Zuwächse. Am 31. August (so muss es in dem Trööt von Mastodon-CEO Eugen Rochko gemeint sein, den er am 1. September um 00.59 Uhr veröffentlichte) kamen auf dem Server mastodon.social 4200 Menschen aus Brasilien hinzu – auch weitere Server verzeichnen offenbar Wachstum.
Es scheint so, als wäre der Zuwachs genau zum Monatswechsel auch deutlich in den Mastodon-Nutzendenzahlen von FediDB zu sehen (obwohl ich nicht verifizieren kann, dass sie aus Brasilien stammen):
Strich drunter, was willst Du uns sagen? Das, was in Brasilien passiert, sagt viel über die Rolle von Plattformen in Gesellschaften und über damit verbundene Mechanismen:
Eine Plattform kann von heute auf morgen verschwinden, verstummen, mitsamt persönlichen Followern, Inhalten, und Menschen und Institutionen ihre Möglichkeit nehmen, zu kommunizieren – vom Bundeskanzler zur Polizei zu Dir oder mir.
Monolithische Plattformen wie X-Twitter, Instagram, LinkedIn oder TikTok erlauben es nicht, Accounts zu migrieren, wenn sie verstummen. Wir sind ihnen ausgeliefert. Das allein spricht gegen sie.
Protokolle wie ActivityPub verbinden Dienste und erlauben, mit Accounts umzuziehen – sie sind das Gegenteil von monolithischen Plattformen, die sich und uns einschließen.
Wenn Plattformen verschwinden, suchen Menschen Alternativen. Diese Alternativen müssen in diesem konkreten Moment aktiv, bekannt, relevant sein, damit sie genutzt werden.
Es reicht nicht, Alternativen erst dann aufzubauen, wenn Menschen bereits nach ihnen suchen.
Mastodon muss solche Momente stärker für sich nutzen. Wir brauchen mehr Menschen, die Momente erkennen und Angebote schaffen. Das kann Mastodon-CEO Eugen Rochko mit seinem kleinen Team nicht allein – Mastodon und das Fediverse sind wir alle.