… gibt es in diesen Tagen von den “großen” Plattformen. Am Dienstag (30. Januar) verabschieden sich gleich mehrere große Stiftungen (ZEIT Stiftung Bucerius, Stiftung Mercator, Volkswagen-Stiftung und Robert-Bosch-Stiftung) sowie der Bundesverband Deutscher Stiftungen von X-Twitter (spricht: Ex-Twitter).
Wie begründen die Stiftungen das? Sie erklären gemeinsam: “Wir treten ein für eine offene, demokratische Gesellschaft, für persönliche Freiheit und Menschenwürde, für faktenbasierte Information und konstruktiven Dialog. Seit der Übernahme durch Elon Musk ist dieses Wertesystem aus unserer Sicht auf X/Twitter regelrecht kollabiert.”
Warum ist das wichtig? Der Rückzug ist spannend, weil nach und nach (zumindest in Europa) relevante Accounts Musks Plattform den Rücken kehren und sie dadurch an Relevanz verliert. Mir zeigt das auch, dass keine der vermeintlich großen Plattform “too big to fail” ist.
Was bedeutet der Rückzug für die Stiftungen? Wichtig ist der Abschied aus meiner Sicht auch für sie: Denn wie können Institutionen auf der einen Seite für die Demokratie und die Werte unseres Zusammenlebens eintreten, wenn sie auf der anderen Seite eine Plattform wie X-Twitter mit Inhalten beschenken?
Auf Einladung der Hamburger Agentur Mann beisst Hund habe ich kürzlich beim digitalen Stammtisch mit Wissenschaftskommunikatoren diskutiert. Wir haben dabei herausgefunden, dass die Entscheidung für oder gegen eine Plattform eben auch mit Blick auf die eigenen Werte getroffen werden sollte. Und wir haben gemeinsam “7 Learnings zur Social-Media-Strategie in Zeiten der digitalen Kommunikationsmonopole” formuliert.
Website Zeit Stiftung Bucerius
Wie sind die Reaktionen auf den Stiftungs-Rückzug? Sie reichen von “Eine gute Entscheidung. Wichtig finde ich auch, sie in dieser Form öffentlich zu machen.” (Nicola Wessinghage auf LinkedIn) bis “4 Stiftungen kriegen ihren Scheiss zusammen und erkennen das Offensichtliche” (@rumhirschen.bsky.social).
Meine 50 Cent: Ich finde den Schritt dann großartig, wenn er ein “erster Schritt” ist. Der zweite wäre, jetzt mit Experimenten und Kommunikation auf alternativen Plattformen zu beginnen – welcome to the Fediverse! Ein eigener Server für Stiftungen wäre doch prima.
Gibt es Vorbilder?
Unbedingt. Viele Institutionen wandern zu Bluesky (dazu in einem späteren Newsletter mehr) oder Mastodon, darunter die EU-Kommission, die NGO Human Rights Watch oder Medien wie die Tagesschau oder netzpolitik.org. Ein Mastodon-Pionier war der Bundesdatenschutzbeauftragte. Passt ja auch – wer sich um Datenschutz kümmert, verträgt sich nicht mit Meta & Co.
Der Datenschutzbeauftragte initiierte auch die Instanz bund.social, auf der sich mittlerweile viele Ministerien und Institutionen tummeln. Der aktuelle Datenschutzbeauftragte, der SPD-Politiker Ulrich Kelber, stärkt also aktiv alternative Plattformen, während einige andere sich nur auf X-Twitter oder Instagram tummeln. Kelber macht seinen Job offenbar auch sonst zu gut: So gut, so dass er wohl keine zweite Amtszeit erleben wird. Bitter.
Wer sagt noch "Bye, bye"?
Seinen Abschied nimmt auch einer meiner Internet- und Newsletter-Helden: Sascha Pallenberg verlässt (wie viele andere Newsletter-Schreiber auch) die Plattform Substack. Er schreibt:
“Während in Deutschland Nazis planen, meine Freund:innen und Mitbürger:innen, die ich zum Teil seit dem Kindergarten kenne, zu deportieren. Während in meiner alten Heimat die Straßen täglich vollgepackt sind mit Menschen, die friedlich und kreativ für unsere demokratischen Werte einstehen… in so einer Zeit kann ich das Geschäftsmodell von Substack nicht weiter unterstützten.”
Was ist denn da passiert? Im November hatte The Atlantic berichtet: “Substack has a Nazi problem.” Die laxe Moderation auf der Newsletter-Plattform sei ein gefundenes Fressen für weiße Nationalisten, die ihre Botschaften ungehindert verbreiten könnten. Das saß. Doch Substack-Mitgründer Hamish McKenzie reagierte leider ebenso lax auf die Kritik. Er schrieb (hier übersetzt): “Wir mögen auch keine Nazis – wir wünschen uns, dass niemand diese Ansichten vertritt. Aber (…) wir glauben nicht, dass Zensur (auch nicht durch das Verbot von Publikationen) das Problem beseitigt – im Gegenteil, sie macht es noch schlimmer.”
Warum sprechen wir überhaupt über Substack? Viele von uns hatten gleich mehrere Hoffnungen mit Substack verbunden: Die Plattform bot eine gute Möglichkeit, mit Newslettern auch Geld zu verdienen. Und als die Welt (oder Europa?) um Twitter trauerte, galt zwischendurch Substack als Retter: Mit seinem Dienst “Notes” hatte die Plattform (wie einige andere) einen Twitter-Clon geschaffen.
Und nun? Das, was einige der Tech-Bosse im Silicon Valley unter “freier Meinungsäußerung” verstehen, passt nicht zu den Werten, die unsere Demokratie definieren. Und die Plattformen, die nicht ausreichend in ihre Moderation investieren, geraten früher oder später in unruhige See. Das gilt für Twitter wie für Substack wie für Insta/Threads oder den nächsten Hype. Wir müssen also (Achtung, Überraschung 🎉) Alternativen stärken.
Ist bei Mastodon alles in Butter? Überhaupt nicht, aber das würde (auch) einen anderen Newsletter füllen. Nur so viel: Gerade hat Bluesky-Chefin Jay Graber Mastodon kritisiert, jeder könne den frei verfügbaren Feidverse-Code nutzen und missbrauchen. “That also means people whose values drastically diverge from yours can use the code, grab it and run with it.” Tbc.
... und einige Anfänge
Wer startet was? “The Future Is Federated.” Sehr spannend finde ich den stufenweisen Einstieg von Flipboard ins Fediverse. Flipboard gibt jedem die Möglichkeit, Inhalte in einer digitalen Zeitschrift zusammenzustellen – und andere können sie abonnieren (ist das zu sehr vereinfacht?). Eine “soziale Nachrichten-App”.
Warum macht Flipboard das? Im Dezember schrieb Flipboard-CEO Mike McCue, Flipboard starte nun seine “Föderation”, verbindet sich also mit dem Fediverse. Seitdem können Mastodon- oder Friendica-Nutzende auch Flipboard-Accounts folgen. Erst waren es nur ein paar, mittlerweile sind es viele. “Wir hoffen, dass wir als Inspiration für andere Anwendungen und Dienste dienen können, die den Umzug ins Fediverse in Erwägung ziehen. Wenn sich mehr Dienste zusammenschließen, wird der Wert des Fediverse exponentiell steigen und wir werden eine lebendigere und interoperable Ära für die Menschen einläuten, die großartige Inhalte erstellen, und für jeden, der sie genießt.”
Wer folgt Flipboard? Auch tumblr entwickelt seit 2022 seinen Code so weiter, dass die Plattform sich mit dem Fediverse verbinden kann. Dafür muss sie ihre Dienste auf den “Activity Pub”-Standard umstellen, wohl ein dickes Brett: Denn seit 2022 gibt es wenig über das Experiment zu hören.
Also nur ein Sturm im Wasserglas? Ich hoffe nicht. Entscheidend ist, dass dem Fediverse (und mit Einschränkungen auch Bluesky) ein offener Standard zu Grunde liegt, an den andere Plattformen andocken können. Auch Threads von Meta tut das – nicht nur unter Applaus der Feidverse-Community. Aber dazu auch mehr in einem späteren Newsletter.
Und sonst so?
Was gut ist, ist nicht nur gut: Der Digital Services Act der Europäischen Union soll Verbraucherrechte gegenüber großen Plattformen wie TikTok, Insta oder Facebook stärken. Die Richtlinie könnte aber auch dazu führen, dass die Daten von Nutzenden massenhaft an Behörden weitergegeben werden, schreibt heise online.
Beeinflusst Meta die US-Wahl? Bestimmt. Aber wie sehr das geschieht, darüber soll auch das Meta Oversight Board wachen, ein fragwürdiges Aufsichtsgremium. WIRED hat Board-Mitglied Pamela San Martín gefragt, ob Meta seine Hausaufgaben macht vor der Wahl. Die Antwort: “Bei der Durchsetzung seiner Gemeinschaftsstandards versäumt es Meta manchmal, den weiteren politischen und digitalen Kontext zu berücksichtigen.”
Das Internet als Internet gibt´s auf der experimentellen Website diagram.website. Für mich ein wunderbares Bild dafür, was Tim Berners-Lee mit “universell” und “verbunden” gemeint hat.
Das war´s für heute. Ein privates Herzensprojekt zwischen Familie und Job: Ich hoffe, dass wir in etwa 14 Tagen wieder voneinander hören – es sei denn, Du schreibst mir schon vorher!
Danke für´s Lesen und viele Grüße,
Björn
“Wirklich soziale Medien” an Hochschulen – The New Social
[…] trifft und öffentliches Geld verwendet, zu dem passt X-Twitter eben nicht. Darüber hatte ich in der ersten Ausgabe meines Newsletters schon geschrieben, und auch Nicola Wessinghage von der Agentur Mann beisst Hund hatte sich darüber […]